Nachverdichtung hat viele Facetten
Die Erwartung, Bonn wird durch den Regierungsumzug „auf alte Originalgröße schrumpfen“, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr ist Bonn – gemessen an Einwohnerzahl – seit 1991 um über 16 Prozent gewachsen, an Beschäftigten um über 32 Prozent. Bonn wächst und wächst. Doch dies stößt an natürliche Grenzen und an Grenzen der Akzeptanz.
Der Stolz auf die ertüchtigte Attraktivität Bonns für Unternehmen und Institutionen mit qualifizierte Arbeitsplätze schafft auch Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Er kann sich auch zum Nachteil entwickeln, wenn durch weiterhin forcierten Wettkampf um ansiedlungswillige Unternehmen, ein ungebremster Bauboom die Lebensqualität in unsere Stadt nachhaltig gefährdet.
Vielen erscheint es so, dass die letzten bisher von Bebauung freigehaltener Flächen zur Disposition stehen. So wird neben forcierten Neubau besonders „Nachverdichtung“ als Allheilmittel zur Bewältigung des Wachstums propagiert. Es gibt Grenzen des Wachstums. Und Nachverdichtung ist nicht gleich Nachverdichtung. Es hat viele Facetten – massive und behutsame.
1. Nachverdichtung durch Bebauung von Grünflächen
Die Baukultur der 50-er und 60-er Jahre hat attraktive Wohnsiedlungen entstehen lassen. Besonders der Siedlungstyps „gegliederte, aufgelockerte Stadt“ zeichnet sich durch hohe Wohn- und Aufenthaltsqualität aus und ermöglicht auch im Mietwohnungssektor „Wohnen im Grünen“. Auf dieses baukulturelle Erbe können wir stolz sein. Doch das ist in Gefahr durch den entwicklungspolitischen Druck, immer mehr Neubauwohnungen auch in bestehenden Wohngebieten zu schaffen. Es wird ein Bedarf unterstellt, der auf Prognosen fußt, deren Annahmen nicht ausreichend hinterfragt werden. Neben dem Verlust an Freiraumqualitäten für die städtische Wohnbevölkerung bewirkt diese Entwicklung auch einen Zubau von Kaltluftschneise durch bauliche Barrieren.
2. Nachverdichtung durch Lückenschließung
Im Gegensatz zur Bebauung von Grünflächen ist diese Strategie standortgerecht, sofern tatsächlich nur einzelne Lücken in einer vorhanden Bebauung geschlossen werden. Das verbessert das Straßenbild, wenn darauf geachtet wird, dass sich diese neuen Einzelgebäude in die vorhandene ortsübliche Bebauung einpassen. Dennoch ist in jedem Einzelfall darauf zu achten, dass nicht Barrieren für Kaltluftströme das örtliche Kleinklima verschlechtern.
3. Nachverdichtung durch Umbau
Ein innenstädtisches Bürogebäude kann so umgenutzt werden, dass auch Wohnen in den höheren Etagen ermöglicht wird. So wird nicht nur innerstädtischer Wohnraum gewonnen, sondern durch die Mischnutzung ein attraktiver Standort geschaffen. Angesichts zahlreicher Leerstände von Bürobauten eröffnet sich vielfältige Chancen, neuen Wohnraum ohne zusätzliche Bauflächen zu schaffen. Eine Tendenz zu mehr „home-office“ könnte diese Entwicklung zur Nutzungsmischung noch begünstigen.
Stadtentwicklungspolitisch ist die Ausweisung reiner Büroviertel problematisch. Frühe Städtebaukonzepte sahen ein Heil für gesunde Städte darin, die städtischen Funktionen Wohnen und Arbeiten räumlich zu trennen. Heute gilt Nutzungsmischung als die bevorzugte Strategie für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Dies fördert auch die Chancen für eine Stadt der kurzen Wege.
4. Nachverdichtung durch Aufstockung
Wenn ein zwei- oder dreigeschossiges Gebäude weitere Geschosse erhält, dann ist neuer Wohnraum ohne zusätzlich in Anspruch genommenes Bauland geschaffen. Auch in Bonn gibt es gute, wenn auch nur wenige vorbildliche Beispiele.
Durch diese Ergänzung mit weiteren Etagen ist ein Zuwachs an attraktiven Wohnraum möglich. Es bedarf aber einer behutsamen Einbeziehung und Akzeptanz der bestehenden Hausgemeinschaft, besonders während der Baumaßnahmen. Deshalb erweist es sich als sinnvoll, die Aufstockung mit zusätzlichen Verbesserungsmaßnahmen für alle zu kombinieren. Da sowieso ein Gerüst erstellt werden muss, bietet es sich an, eine energiesparenden Fassadendämmung durchzuführen. Das Problem eines zusätzlichen Bedarfs an Stellplätzen für Kraftfahrzeuge lässt sich in vielen Fällen einvernehmlich lösen.
5. Nachverdichtung durch Dachgeschossaufbau
Diese in Berlin-West vor dem Mauerfall sehr beliebte und erfolgreiche Form, neuen Wohnraum im Bestand zu schaffen, hat angesichts von Baulandmangel auch in anderen Städte Zuspruch gefunden.
Auch in Bonn gibt es zahlreiche Beispiele, besonders durch Wohnungsbaugesellschaften, zusätzlichen Wohnraum ohne Beanspruchung von Bauland zu gewinnen. Vorteilhaft ist dabei, dass keine Grundstückskosten entstehen. Allerdings sind in jedem Einzelfall baurechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. Nicht zuletzt feuerpolizeiliche Auflagen hinsichtlich Rettungstreppen oder der Möglichkeit von Aufleiterung durch die Rettungskräfte zu den oberen Etagen wirken hier als Restriktionen.
Letztlich fördern auch hier weitere Verbesserungsmaßnahmen am Gebäude die Akzeptanz der Bewohner*innen.
6. Alternative bestandsorientierte Strategien
Alle Forderungen, neuen Wohnraum zu schaffen, gehen von den Annahmen aus, dass in Bonn zu wenig gebaut werde, die Einwohnerzahl weiter wachsen werde. Diese Position wird unterstützt von einer weiteren Annahme, nämlich dass ein Verzicht auf verstärkten Wohnungsneubau in Bonn zu einer Abwanderung ins Umland und damit zur Zersiedlung der Stadtregion führt. Eine bestandsorientierte Wohnungspolitik darf sich aber nicht nur auf ein „Mengenproblem“ reduzieren. Wenn überhaupt, fehlen Wohnungen mit geringen Mieten.
Bestandsorientierung muss auch das „Verteilungsproblem“ reflektieren. Die Zahl kleiner Haushalte wächst und in großen Wohnungen lebt häufig nur eine Person. Dieser demographischen Entwicklung wird in einigen Städten mit der sogenannten „Umzugshilfe“ begegnet – auf freiwilliger Basis versteht sich. Diese individuellen Angebote bestehen aus praktischen, organisatorischen Hilfen beim Umzug oder sind finanzielle Anreize für Umzugswillige. Gerade ältere Menschen in Singlehaushalten scheuen den Aufwand oder eine höhere Miete für eine sogar kleinere Wohnung. Ein kluges Umzugsmanagement sichert – falls gewünscht – den Verbleib im vertrauten Wohnumfeld. Denn auch die Sicherung stabiler Nachbarschaften und die Bewahrung des räumlichen Wohnumfeldes mit seinen geschätzten Qualitäten ist letztlich gelebte Baukultur und hausnaher Umweltschutz.
Nachverdichtung als Konfliktpotenzial
Eine Nachverdichtung im Bestand ist immer auch verbunden mit Beeinträchtigungen und Einschränkungen für die bisherigen Bewohner*innen. Das Zusammenleben in der Hausgemeinschaft wird unruhiger, im Treppenhaus wird es lauter und überhaupt verunsichert der Zuwachs neuer Mietparteien. Besonders Konflikt beladen wird es, wenn der freie Blick durch einen benachbarten Neubau in unmittelbarer Nähe verstellt wird.
Wenn der gewohnte Freiraum vor der Tür, der alltägliche Blick vom Balkon verloren gehen, geliebte Bäume für den Neubau weichen müssen, dann erweist sich eine Nachverdichtung als problematisch - für die Nachbarschaft und für das Kleinklima. Eine Aufstockung oder ein Dachgeschossausbau ist dann noch das kleinere Übel, auch dann, wenn bisher genutzter Dachbodenraum aufgegeben werden muss.